Manchmal fliegt der Rest eines Lebens weg
10.10.2009 09:22
Rhein-Neckar-Zeitung vom 10.10.2009:
Von Christoph Feil.
Neckarelz. "In sieben Wochen bekommen wir Nachwuchs", verkündet Mario Schneider stolz. Währenddessen öffnet er den Kofferraum seines Autos und zieht eine noch recht frisch wirkende, schwere Matratze hervor. Mit einem Schwung landet die im Nu auf dem Müll. Den dazugehörigen Bettrost sowie die Seitenteile und einen noch funktionierenden Kühlschrank hat der Schefflenzer heute auch schon entsorgt. Was ehemals zur Einrichtung eines Gästezimmers gehörte, findet seinen Platz nun neben anderem Unrat auf dem Wertstoffhof der Firma INAST. Anstelle des großen Bettes wird in Zukunft wohl die Kinderwiege stehen. "Es tut mir schon in der Seele weh", gesteht Schneider, "zumal das alte Zimmer wirklich topp war". Doch für den Familienzuwachs muss ein Kinderzimmer her. Dabei bemühte sich der werdende Vater vergeblich um einen Abnehmer. "Bett und Kühlschrank habe ich beides ausgeschrieben – unter anderem an der BA – falls ein Student die Sachen möchte", erzählt Schneider, "doch niemand hat sich gemeldet."
Solche erfreulichen Anlässe wie eine anstehende Geburt erlebt Michél Jorke eher selten. Seit Mai dieses Jahres arbeitet er auf dem Hof – betreut die Annahme, betätigt die Waage oder fährt auch mal Bagger. Viel eher sind es Todesfälle oder Umzüge wegen denen "seine" Kunden vorbeikommen, um die unnötigen Überbleibsel, die mittlerweile ausgedient haben, zu entsorgen.
Ein Fall blieb dem 28-Jährigen dabei insbesondere im Gedächtnis. "Da wurde ein ganzer Container bei uns abgekippt", erinnert sich der INAST-Mitarbeiter. Eine ältere Frau war gestorben. Unter den Hinterlassenschaften fand Jorke neben neuen Möbeln auch eine Menge Fotos. "Bestimmt von ihren Enkeln", wie der Grünsfelder vermutet: "So etwas gibt einem dann schon zu denken." Manchmal – so scheint es – sortiert er den Rest, der von einem Leben übrig ist, und teilt ihn auf in Restmüll, Sperrmüll, Elektroschrott oder Holz. Sage mir was Du wegwirfst, und ich sage Dir, wie Du lebst.
Ein Vierteljahrhundert Technikgeschichte holt derweil Karl Krämer aus seinem Wagen. Stereoanlagen und Plattenspieler, die Kofferraum und Hinterbank einnehmen und längst ihren Geist aufgegeben haben: Alles landet in hohem Bogen im Container für Elektroschrott. "Was sich in 25 Jahren angesammelt hat, fliegt weg" – bei den Krämers wird renoviert. Selbst einen Stoß alter Schallplatten hat der Neunkirchener entsorgt. "Die Dinger hört heute ja kein Mensch mehr", so Krämer.
Da ist sich Michél Jorke allerdings nicht so sicher. Einmal zum Beispiel wurde eine riesengroße Orgel abgeliefert. "Da streiften dann schon die Sammler umher und konnten gar nicht glauben, auf was für einem Schatz wir in deren Augen hier sitzen", schmunzelt Jorke. Nur zu oft findet der eine oder andere beim Wegschmeißen selbst etwas, das er noch gebrauchen könnte. Doch einfach mitnehmen ist nicht. "Was einmal hier zum Entsorgen abgegeben wurde, bleibt auch hier", erklärt Vertriebsleiter Freddi Denz. Jedenfalls so lange, bis es in die Verbrennungsanlage in Mannheim oder Würzburg oder in die Sortieranlage weitertransportiert wird.
Und genau dabei entstehen der Firma INAST Unkosten, die durch die Gebühren bei der Abgabe von Restmüll beispielsweise wieder gedeckt werden müssen. Regelmäßig führt dies jedoch zu Missverständnissen oder sogar zu Ärger. Denn lediglich montags und donnerstags läuft auf dem Gelände der Firma INAST in Mosbach die Kleinanlieferung von Restmüll kostenlos über die AWN, welche auch Öffnungszeiten und Annahmebedingungen regelt. Wer nämlich mehr Müll hat als zu Hause in die Tonne passt, kann über den Berechtigungsschein, der der Müllmarke beiliegt, an diesen beiden Tagen bis zu 300 Liter Volumen kostenlos entsorgen. Je nach Fassungsvermögen der Mülltonne zwischen viermal bis sechzehn Mal im Jahr.
"Viele kommen aber auch dienstags, mittwochs, freitags oder samstags und wundern sich, dass die Abgabe von Kleinmengen was kostet", so Denz. Nicht selten zeigen sich die Leute dann uneinsichtig, werden laut oder aggressiv. "Warum kostet es heute, wo es doch eigentlich umsonst sein sollte?", lautet dann die Frage. Und wenn Michél Jorke ihnen dann erklärt, dass sie heute den Müll eben nicht kostenlos abgeben können, probieren es viele dennoch. Sie schmeißen die Säcke einfach in den Container und wollen wieder wegfahren – vergeblich. Selbst mit der Polizei musste Jorke einem besonders hartnäckigen Fall einmal drohen. "Da kickte der Mann einen Farbeimer auf dem Hof rum und schrie: ’Ich wünsche Ihnen den Tod’", erzählt der 28-Jährige kopfschüttelnd. In harmloseren Fällen geben die Leute aber klein bei – doch das meist geringe Entgelt schließlich zu entrichten, das sehen sie dennoch nicht ein. "Viele klettern einfach in den Container und holen ihre Säcke wieder raus", so Jorke. Sage mir wie Du es wegwirfst, und ich sage Dir wer Du bist.
Info: Die Öffnungszeiten der Wertstoffannahme in Neckarelz: Montag - Samstag: 8.30 bis 12 Uhr; Montag + Donnerstag: 14 bis 18 Uhr; Dienstag, Mittwoch, Freitag: 14 bis 16.30 Uhr.